Fritz Blakolmer (Universität Wien)
Unter den gestempelten Tonplomben aus dem mykenischen Palast von Pylos befindet sich ein Siegelbild (CMS I, Nr. 379), dessen bislang einzigartige Ikonographie uns singuläre, aber dennoch typische Eigenheiten der frühägäischen Bildkunst vor Augen führt. Die zentrale Gottheit vom Typus der ‚Göttin mit Snake-frame’ wird von einem Bildmotiv, bestehend aus einem Stier und einem ‚minoischen Genius’ mit einem speziellen Messer, flankiert. Die vergleichende ikonographische Analyse der Seitenmotive legt eine Interpretation als Genius mit Schlachtmesser und herbeigeführtem Opferstier nahe, d. h. die Andeutung eines prospektiven Opferrituals in Kombination mit der göttlichen Adressatin. Dieses außergewöhnliche und hochgradig erklärungsbedürftige Siegelbild erlaubt Einblicke in ikonographische Gestaltungsprinzipien wie Standardisierung, Imitation und Kreativität, in Darstellungstabus und Substitutfiguren, in minoische sowie nahöstliche Vorbilder und ihre ‚Interpretatio Mycenaea’.
Der Vortrag findet am 16. 3. 2021 um 18 Uhr online statt.
Link zum Vortrag (wird um 17:50 h aktiviert)