Kolophon
Projektträger: Institut Für Klassische Archäologie
Kooperation: Prof. Christine Özgan (Lizenzträgerin des Surveys), Institut für Archäologie der Mimar-Sinan-Universität Istanbul
PD Dr. Erich Draganits, Department für Geodynamik und Sedimentologie / Institut für Urgeschichte und Historische Archäologien der Universität Wien
Dr. Olivier Mariaud, Centre de Recherche en Histoire et Histoire de l'Art, Universität Pierre Mendès-France Grenoble II
Projektleitung: Ulrike Muss
Finanzierung: FWF-Projekt P24763 (Laufzeit: 01.08.2012 – 31.12.2017)
Mitarbeiter: Anton Bammer, Erich Draganits, Verena Gassner, Benedikt Grammer, Martin Gretscher, Ulrike Muss
Das antike Kolophon gehörte zu den bedeutenden Städten des antiken Ionien und lag als einzige der ionischen Städte nicht direkt am Meer, sondern rund 12 km im Landesinneren am südwestlichen Rand der großen Ebene von Menderes/Cumaovası. Unmittelbar südlich von Kolophon entsprang der Hales (heute Traça Cayı), der durch ein breites Tal nach Süden ins Meer fließt. An der Mündung des Flusses in den Golf von Kuşadası liegt die als Hafenstadt von Kolophon angesehene Siedlung Notion, ein wenig landeinwärts findet sich das Apollonheiligtum von Klaros.
Nach den schriftlichen Quellen zählte Kolophon zumindest in der archaischen Zeit zu den großen und reichen Städten Ioniens. Im Gegensatz zur politischen Geschichte der Stadt, die anhand der literarischen und epigraphischen Quellen in den Grundzügen zu erschließen ist, stehen unsere lückenhaften Kenntnisse des archäologischen Befundes. Dessen Erforschung begann 1886 mit der Lokalisierung der Stadt beim Dorf Değirmendere in der Nähe von Izmir durch C. Schuchardt und P. Wolters. In einer nur zweitägigen Kampagne konnte die Ausdehnung der Stadt über die Einmessung der Stadtmauern bestimmt werde.
Im Jahre 1922 führte ein amerikanisches Archäologenteam unter der Leitung von Hetty Goldman und Carl Blegen für das Fogg Art Museum in Harvard und die American School of Classical Studies in Athen Grabungen durch, die sich auf den Südwesten des antiken Stadtgebietes konzentrierten. Das auf mehrere Jahre angelegte Ausgrabungsvorhaben wurde durch den türkischen Befreiungskrieg unterbrochen und nach einer weiteren, kurzen Kampagne 1925 schließlich ganz aufgegeben. Die Grabungen konzentrierten sich vor allem auf die sogenannte Akropolis, wo man das Zentrum der antiken Stadt vermutete und eine Platzanlage mit einer Stoa, Teile der Wohnbebauung sowie ein als Metroon bezeichnetes Heiligtum freilegte.
Weitere oberflächlich gut erkennbare Bauten wurden auch in der Ebene beobachtet, jedoch nicht weiter dokumentiert. Außerdem wurden an drei Stellen Gräber bzw. Nekropolen festgestellt und zumindest ansatzweise untersucht; diese wurden ebenfalls in keinem Plan verzeichnet. Von den Funden wurde lediglich eine Studie zu den Inschriften vorgelegt, die übrigen Funde, Keramik und Terrakotten, verblieben im Dorf Değirmendere und sind in den Wirren des Krieges verlorengegangen. Zu den Münzen Kolophons wurde 1941 eine Übersicht veröffentlicht, die jedoch auf älteren Sammlungsbeständen und nicht auf den Grabungsfunden von 1922/1925 beruhte. Die Ergebnisse dieser Ausgrabungen wurden 1944 von L.B. Holland, dem für die Vermessung zuständigen Architekten, in der Zeitschrift Hesperia zusammenfassend publiziert.
In der Folgezeit wurden die teilweise freigelegten Ruinen, wie bereits zuvor, zu einem leicht zugänglichen Ziel für Raubgrabungen, die sich bis in die Gegenwart fortsetzen und an vielen Stellen innerhalb und außerhalb des antiken Stadtgebietes beobachtet werden können. Im Jahre 2010 hat die Mimar-Sinan-Universität Istanbul mit Christine Özgan als Lizenzträger zusammen mit dem Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien - Verena Gassner und Ulrike Muss - mit einer neuen, längerfristig geplanten Erforschung von Kolophon begonnen. Das Projekt beschäftigt sich mit den noch offenen Fragen zur Entwicklung, Ausdehnung und Organisation der Stadt, von der bis heute nur die Stadtmauern des späten 4. Jhs. v. Chr. sowie einige Gebäudefundamente der spätklassisch-frühhellenistischen Stadt bekannt sind.
Ziel des neuen Projektes ist es, mit einem mit unterschiedlichen Methoden durchgeführten Survey eine diachrone und interdisziplinäre Untersuchung zur urbanistischen Entwicklung von Kolophon, eine Untersuchung der naturräumlichen Gegebenheiten der Stadt sowie ihrer Siedlungsstrukturen vorzulegen. Hierzu wird die Dokumentation der amerikanischen Ausgrabungen, die freundlicherweise von der American School of Classical Studies in Athen zur Verfügung gestellt wurde, vollständig aufgearbeitet und in Kooperation mit der Mimar-Sinan-Universität Istanbul mit den noch sichtbaren Überresten vor Ort abgeglichen. Im Bereich der Stadtebene soll mit Hilfe von Begehungen, Keramiksurveys und geophysikalischen Untersuchungen ein Überblick über die Dichte und zeitliche Einordnung der dortigen antiken Bebauung gewonnen werden. Zur Lokalisierung der in den stark bewaldeten Stadthügeln vermuteten Tumulus-Nekropolen wurde durch die Firma Airborne Technologies ein flugzeuggestützter Laserscan (Airborne Laserscanning – ALS) durchgeführt. An der Auswertung der Daten wird gearbeitet.
In der ersten Kampagne 2010 konnten zwei Zielsetzungen verfolgt werden. Zum einen wurden die bisher bekannten Bauten, der von Schuchhardt kartierte Befestigungsring sowie der von den amerikanischen Kollegen freigelegte Bereich auf dem sog. Akropolishügel identifiziert und der bisherige Wissensstand kritisch überprüft. Zum anderen wurde versucht, einen ersten Eindruck von der Fundhäufigkeit und -verteilung in den verschiedenen Bereichen der Stadt zu erhalten.
2011 konzentrierte sich das Team der Mimar-Sinan-Universität weiter auf die 1922 freigelegten Bereiche, speziell auf das sog. Metroon und die Wohnbebauung. Das österreichische Team setzte die Begehungen fort und erarbeitete ein theoretisches Siedlungsmodell für Kolophon, welches die Grundlage für das zukünftige Survey Programm darstellt. Besonders an einer Lokalisierung und Erfassung der Ausdehnung der Nekropolen wurde weiter gearbeitet, da ihre Beziehungen zu den verschiedenen Phasen der Stadt von grundlegender Bedeutung sind. Parallel dazu wurde mit einer Studie des modernen Ortes Değirmendere begonnen.
2012 wurden – erstmals mit Finanzierung durch den FWF – im Nordostareal der spätklassischen Stadt extensive und intensive Keramiksurveys durchgeführt. Einen anderen Arbeitsschwerpunkt bildeten weiterhin die Nekropolen, wobei in der Süd-Nekropole bei einer Begehung 18 Grabhügel identifiziert werden konnten. Neben den im Dorf Değirmendere weitergeführten Forschungen wurde auch mit einem geologischen Survey begonnen.
Kolophon liegt zwischen 120–320 m Seehöhe am Nordwest-Abhang des Karaçadağ am Südrand des Cumaovası Beckens, im Bereich der spät-kretazisch bis unter-paläozänen (ca. 70–60 Mio Jahre), weitgehend unmetamorphen Bornova Flysch Zone. In tieferen Bereichen des ehemaligen Stadtgebietes finden sich unterschiedlich mächtige kolluviale und fluviatile Sedimente des Quartärs. Das nördlich von Kolophon gelegene Cumaovası Becken ist mit untermiozänen bis rezenten (ca. 19 Mio Jahre bis heute), fluviatil/limnischen, klastischen Sedimenten gefüllt, in die auch einige vulkanische Intervalle eingeschaltet sind.
Die Bausteine der Stadt bestehen daher aus mehr als 10 unterschiedlichen Gesteinsarten, bei denen lokal vorkommender Dolomit und Kalkstein dominieren, während Werksteine aus Marmor generell sehr selten sind. Zahlreiche gut bearbeitete Bausteine bestehen aus relativ weichem, hellgrauem Tuff. Die meisten Gesteine kommen im Bereich der antiken Stadt und seiner Umgebung vor, jedoch betragen die Distanzen zu den nächst gelegenen Vulkanit-, Glimmerschiefer- und Marmorvorkommen mehr als 4 km Luftlinie.
2013 wurde auf dem in den Jahren zuvor mit Keramiksurveys untersuchten Gebiet eine geophysikalische Prospektion durch die Firma Posselt & Zickgraf Prospektionem durchgeführt. Die Untersuchungen mit Geomagnetik und Bodenradar ergaben Hinweise auf die Bebauung und das Straßensystem im ebenen Teil der antiken Stadt. Im Bereich der Nekropolen wurden weitere extensive Begehungen durchgeführt, um deren Ausdehnung weiter einzugrenzen und zeitliche Anhaltspunkte für ihre Datierung zu gewinnen. In der sog. Südnekropole wurden zwei gut erhaltene und teilweise freigelegte, runde Grabbauten dokumentiert. Ein weiteres Arbeitsgebiet lag im Dorf Değirmendere, in dem in weiteren neuzeitlichen Gebäuden größere Mengen antiker Spolien aufgefunden und untersucht werden konnten. Gleichzeitig mit den Arbeiten der Universität Wien wurde durch die Mimar-Sinan-Universität Istanbul die Bauaufnahme der Bauten auf der Akropolis fortgeführt.
Die Ergebnisse der Kampagnen 2010-2012 wurden als Vorberichte publiziert in:
- Ch. Bruns-Özgan – V. Gassner – U. Muss, Kolophon: Neue Untersuchungen zur Topographie der Stadt, Anatolia Antiqua 19, 2011, 199-239.
- Ch. Özgan u.a., Kolophon Antik Kenti 2010 Yılı Yüzey Araştırmaları, AST 29, 2012, 263-285.
- V. Gassner – U. Muss – E. Draganits, Survey in Kolophon: Die Kampagnen 2010-2012, Forum Archaeologiae 65/XII/2012 (http://farch.net).
- Ch. Özgan u.a., Kolophon Antik Kenti 2011 Yılı Yüzey Araştırmaları, AST 30, 2013, 195-206.
Weitere Literatur (Archäologie):
- C. Schuchhardt, Kolophon, Notion und Klaros, AM 11, 1886, 398-434.
- RE XI 1 (1921) 1114-1119 s.v. Kolophon (L. Bürchner).
- H. Goldman, Excavations of the Fogg Museum at Colophon, AJA 27, 1923, 67-68
- L.B. Holland, Colophon, Hesperia 13, 1944, 91-172.
- B.D. Meritt, Inscriptions of Colophon, AJP 56/4, 1935, 359-372.
- J.G. Milne, Kolophon and its Coinage. A Study, American Numismatic Society – Numismatic Notes and Monographs 96 (New York 1941).
- C. Talamo, Per la storia di Colofone in età arcaica, PP 28, 1973, 343-375.
- R.A. Bridges jr., The Mycenaean Tholos Tomb at Kolophon, Hesperia 43, 1974, 264-266.
- H. Erkanal – T. Özkan, Kazı Çalışmaları. Bakla Tepe Kazıları/Excavations at Bakla Tepe, in: T. Özkan – H. Erkanal (Hrsg.), Tahtalı Baraji Kurtarma Kazısı Projesi/Tahtali Dam Area Salvage Project (Izmir 1999).
- W. Hoepfner – E.-W. Osthues, Kolophon, in: W. Hoepfner (Hrsg.), Geschichte des Wohnens, Band 1. 5000 v. Chr. – 500 n. Chr. Vorgeschichte, Frühgeschichte, Antike (Ludwigsburg 1999) 280-291.
- J.L. Davis, A Foreign School of Archaeology and the Politics of Archaeological Practice: Anatolia 1922, JMedA 16/2, 2003, 145-172.
- L. Rubinstein, Ionia, in: M.H. Hansen – Th.H. Nielsen (Hrsg.), An Inventory of Archaic and Classical "poleis": an Investigation Conducted by the Copenhagen Polis Centre for the Danish National Research Foundation (Oxford 2004) 1024-1032.
- G. Ragone, Colofone, Claro, Notio. Un contesto per Senofane, in: M. Bugno (Hrsg.), Senofane ed Elea tra Ionia et Magna Grecia (Neapel 2005) 9-45.
- H. Erkanal, Die neuen Forschungen in Bakla Tepe bei Izmir, in: H. Erkanal u.a. (Hrsg.), The Aegean in the Neolithic, Chalcolithic and the Early Bronze Age. Proceedings of the International Symposium, October 13th-19th 1997, Urla - İzmir (Turkey) (Ankara 2008) 165-169.
- W. Hoepfner, Ionien – Brücke zum Orient (Darmstadt 2011) 120-128.
- O. Mariaud, The Geometric Graves of Colophon and the Burial Customs of Early Iron Age Ionia, in: From the Dark Ages to the Rise of the Polis. International Symposium in Memory of William D.E. Coulton, Volos 2010 (im Druck).
Weitere Literatur (Geologie):
- N. Konak (compiler), İzmir. Türkiye jeoloji haritası (Geological map of Turkey), 1:500,000. Maden Tetkik ve Arama Genel Müdürlüğü, Ankara 2002.
- N. Konak – M. Şenel (compiler) Denizli. Türkiye jeoloji haritası (Geological map of Turkey), 1:500,000. Maden Tetkik ve Arama Genel Müdürlüğü, Ankara 2002.
- L. Jolivet, G. Rimmelé, R. Oberhänsli, B. Goffé, O. Candan, Correlation of syn-orogenic tectonic and metamorphic events in the Cyclades, the Lycian Nappes and the Menderes Massif. Geodynamic implications, Bulletin de la Société Géologique de France, 175, 2004, 217-238.
- B. Uzel – H. Sözbilir, A first record of a strike-slip basin in Western Anatolia and its tectonic implication: The Cumaovası Basin. Turkish Journal of Earth Sciences, 17, 2008, 559-591.
- A.I. Okay, İ. İşintek, D. Altıner, S. Özkan-Altıner, N. Okay, An olistostrome–mélange belt formed along a suture: Bornova Flysch zone, western Turkey. Tectonophysics, 568-569, 2012, 282-295.