Kleine Scherbe, große Abenteuer
Wenn man mit Personen abseits des archäologischen Fachgebiets spricht, so verbinden sie den Begriff und das Studium der Archäologie mit Ausgrabungen. Pinsel und Schaufel scheinen feste Begleiter jedes*r anständigen Archäologen*in zu sein. Die Realität verhält sich dann doch etwas anders, denn mit einer Ausgrabung allein ist die Arbeit noch lange nicht getan!
Deshalb gehören auch andere archäologische Methoden zum Studium der Klassischen Archäologie. Die Praxiskurse ermöglichen uns diese einzuüben und praktische Erfahrungen abseits unserer Bücher zu sammeln. Der Kurs „Monastic material culture - Course on Late antique, Byzantine and early Islamic pottery” unter der Leitung von Prof. Basema Hamarneh bot Studierenden des Instituts für Klassische Archäologie die Möglichkeit, im August 2018 ihr Wissen über spätantike Keramik zu vertiefen.
Zusammen mit Univ.-Ass. Dr. Davide Bianchi und acht Studierenden machte sie sich nach Jordanien auf, worüber in den folgenden Absätzen berichtet werden soll.
Eine Reise in die Vergangenheit
Unsere Arbeit führte uns auf den „Mount Nebo“ in der Nähe der Kleinstadt Madaba, der schon den ältesten Berichten zufolge, ein besonderer Ort war. Angefangen mit dem Alten Testament, soll hier zum einen der Prophet Mose begraben sein; zum anderen sei hier auch die Höhle, in der der Prophet Jeremiah die Bundeslade einst versteckt haben soll.
Aufgrund des Berichts der Pilgerin Egeria, die im späten 4. Jh. n. Chr. das Heilige Land besuchte, wissen wir von einer dem Propheten Moses gewidmeten Kirche, die sich am höchsten Punkt des Berges, genannt „Syagha“, befand. Unter anderem wurde deshalb in den 1930er-Jahren eine erste Grabungskampagne gestartet, bei der die Überreste der Moses-Kirche und eines angrenzenden Klosters gefunden wurden.
Das Wissen über diese Strukturen konnte seitdem durch weitere Forschungen vermehrt werden; Unter anderem sind auf diese Weise Exemplare der schönsten und besterhaltenen Mosaike Jordaniens überliefert, die heute Touristen von nah und fern anlocken.
Eine Person, welche bei diesen Entdeckungen eine tragende Rolle spielte, ist der Franziskanerpater und Archäologe Michele Piccirillo. Er war in den 1980er- und 1990er-Jahren Vorsitzender des archäologischen Instituts auf dem Berg Nebo. Aufgrund seiner intensiven Forschungen im Heiligen Land, prägt er auch nach seinem Tod 2008 die archäologische Forschung bis heute.
An diesem geschichtsträchtigen Ort lehrten uns Prof. Hamarneh und Dr. Davide Bianchi, sich mit den Kleinfunden vertraut zu machen und geordnet an das Material heranzugehen. In Bestimmungs- und Zeichenübungen rückten wir den spätantiken Keramikfunden mit Zeichenkamm und Schublehre zu Leibe und konnten innerhalb kürzester Zeit die verschiedenen Gefäßtypen und Merkmale der byzantinischen, umayyadischen und abbasidischen Keramik unterscheiden.
Während des Zeichnens wurde auch fleißig über Themen der Archäologie diskutiert und gefachsimpelt. Eine häufig von unseren Freunden außerhalb der Archäologie gestellte Frage wurde besonders intensiv diskutiert. Weshalb zeichnen Archäolog*innen immer noch jedes wichtige Keramikstück und warum reicht im 21. Jahrhundert nicht eine Fotografie aus?
Die Gründe hierfür sind vielseitig, doch hauptsächlich sind einerseits Maßstabsverhältnisse und andererseits Beschaffenheit und Einzelheiten der Keramikstruktur besonders wichtig. Um in diesem Bereich Sicherheit und Übung zu gewinnen, müssen Archäologen ihre Funde auf diese Weise dokumentieren. Denn mit regelmäßigem Umgang und Üben steigen Wissen und Erfahrung.
Auch andere Materialgattungen, wie die berühmten Mosaike, wurden uns ausführlich erklärt. Cav. Franco Sciorilli ein ausgezeichneter Experte in Sachen Mosaikkunst und -restauration, brachte uns das Thema des geeigneten Umgangs mit Mosaiken während und nach Grabungen näher und begleitete uns nach Umm er-Rasas, wo er uns auch die rezentere archäologische Forschung und den Umgang mit antiken Denkmälern in Jordanien erklärte.
Kultur und Keksüberraschungen
Außerhalb unserer Arbeitszeiten gewannen wir auch Einblicke in das jordanische Alltagsleben. Der Stolz der Jordanier auf die antike Vergangenheit ihres Landes und das Wissen um ihr Erbe begegneten uns in Plaudereien mit dem Wasserhändler, dem Bäcker und dem Gemüsehändler. Auf unsere Erklärung hin, dass wir Archäologiestudenten sind und die kulturellen Schätze ihres Heimatlandes kennenlernen wollten, begegnete man uns mit Freude, Interesse und großer Gastfreundschaft.
Vor allem Letztere zeigte sich bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten. So überraschte uns zu Beginn des muslimischen Opferfestes unser Busfahrer Kaldoun, der uns immer von unserer Unterkunft in Madaba zum Mt. Nebo hin- und zurückfuhr, mit „Ma’amoul“, traditionell jordanischen Keksen.
Jordanien hielt aber auch noch ganz andere Überraschungen für uns bereit. Das harmonische Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Religionen in Madaba, wurde uns durch ein eindrückliches Beispiel vor Augen geführt. Während auf der einen Straßenseite die Kirchglocken läuteten, rief der Muezzin auf der anderen Seite zum Gebet auf. Christen und Muslime leben hier Seite an Seite miteinander.
Mitten im Haschemitischen Königreich Jordanien auf weitere Österreicher*innen zu treffen, wäre uns bei unserem Abflug in Wien im Traum nicht eingefallen. Umso aufregender, dass vonseiten der Österreichischen Botschaft in Amman eine Einladung zu einem Treffen ausgesprochen wurde.
Für das gesamte Team eine spannende Sache. Wie sieht die Welt der Diplomatie aus? Was genau macht eine Botschaft, ausgenommen uns auszuhelfen, wenn wir unseren Pass verlieren? Auf Einladung von Christoph Sternath dem Österreichischen Kulturattaché in Amman fanden wir uns zu einem Kaffee in der Botschaft der Alpenrepublik ein und wurden sehr herzlich begrüßt. Gegenseitiges Interesse bestimmte die Gespräche und rasch fühlten wir uns ein bisschen zu Hause.
Alte und Neue Fußstapfen im Wüstensand
Während wir uns in diesen beiden Arbeitswochen intensiv mit archäologischem Material auseinandersetzten, nützten wir unsere Freizeit, um die berühmtesten antiken Stätten des Landes zu besichtigen. So standen an den Wochenenden zwei der berühmtesten antiken Städte auf unserem Plan: Jerash und Petra.
„Das Einzigartige an Jordanien und seinen archäologischen Stätten ist, dass sie es schaffen, dem Besucher noch heute den Eindruck zu vermitteln als würde man sie selbst gerade neu entdecken.“ – so die Worte des Antikendirektors von Jerash. Wie recht er damit hat, ist uns in „seiner“ antiken Stätte eindrucksvoll vor Augen geführt worden.
Bereits der Bazar im Eingangsbereich entführt in die bunte Welt der orientalischen Märkte und bietet die Möglichkeit sich einen farbenfrohen Kufya als Kopfbedeckung zu organisieren. Doch gleich hinter dem Treiben der heutigen Zeit befindet sich der wahre Schatz dieser Region und das Hadrianische Tor öffnet für die Besucher von Jerash den Weg zurück in die Antike. Ganze Straßenzüge mit Säulengängen, ein einzigartiges ovales Forum, Tempel, Theater, Nymphäum, einfache Wohnhäuser und unzählige spätantike Kirchen breiten sich hier vor den Augen des Betrachters aus und verleiten dazu nostalgisch innezuhalten und sich zu fragen, wie das Leben hier wohl in früheren Zeiten aussah. Auch nach mehreren Stunden in den Ruinen der Stadt hatten wir noch längst nicht alles erkundet, mussten uns jedoch wieder auf den Rückweg machen.
Fasziniert von der Größe und dem guten Erhaltungszustand des antiken Gerasa werden wir uns alle noch lange an diese Entdeckungsreise zurückerinnern.
Als am Samstag unseres zweiten großen Unternehmens der Morgen graute, sahen wir um uns vorerst schlaftrunkene Gesichter, in denen jedoch schnell die Erkenntnis des bevorstehenden Abenteuers aufleuchtete. Das Wochenende Petra zu erkunden war gekommen!
Nach einer vierstündigen Anreise durch die jordanische Morgendämmerung zur antiken, nabatäischen Hauptstadt, folgte ein Tag voller Staunen und Ehrfurcht. Gegenüber der menschlichen Leistung, mitten in der Wüste eine große Stadt aufleben zu lassen, gegenüber der raffinierten Wasserversorgung in der Antike und gegenüber dem fleißigen Treiben der Touristenmassen inmitten eines felsigen Talkessels. Im Tal vor dem „Siq“, dem Zugang zu Petra, war als Folge des intensiven Tourismus eine moderne Stadt entstanden, die zahlreiche Unterkünfte für Touristen bietet. Trotz unseres Tatendrangs die Stätte zu erkunden, entschlossen wir uns zuerst für eine kleine Stärkung und die Besichtigung des „kleinen Petras“. Am folgenden Tag wollten wir uns schließlich ganz und gar dem „großen Petra“ widmen können.
Die Wanderungen durch die Monumente am folgenden Tag führten uns die Ausdehnung der Siedlung eindrücklich vor Augen. Die Hitze wurde kaum mehr wahrgenommen und unsere Fantasie überschlug sich
Es ist schwierig, die in den Felsen gehauenen Bauten zu beschreiben und dabei ihrer eindrucksvollen Erhabenheit gerecht zu werden. Eines ist jedoch gewiss, wer nach Petra reist, den werden die Größe, Schönheit und die Landschaft in Staunen versetzen.
Die zwei Wochen lehrten uns alle viele verschiedene Dinge und erweiterten unseren Horizont auf unterschiedlichste Weise. Die Arbeit mit der Keramik ging jeden Tag flotter vonstatten und wurde auch durch die interessanten Fachdiskussionen ergänzt, sodass Eintönigkeit keine Gelegenheit geboten wurde. Auch abseits der Zeichenblöcke zog uns Jordanien mit seiner besonderen Landschaft, Kultur und seinen archäologischen Stätten so sehr in seinen Bann, dass wir uns noch lange unserer Abenteuer dort erinnern werden.
Sümeyra Alankaya, Mona Baumgarten, Ivana Djordjevic, Felix Eder, Estera Golian, Clara Hansen, Michaela Löffler, Nadine Riegler