Mit Bus, Bahn, Bim oder Fahrrad zu Mykene in Karlsruhe

Scharen waffenstrotzender Achäer landeten an den Gestaden vor Troias Feste … Nein, völlig falsch! Eine kleine, aber hochmotivierte Gruppe von Studierenden des Instituts für Klassische Archäologie traf sich am 3. Februar 2019 in Karlsruhe, Baden ("Es gibt Badische und Unsymbadische!"), um im Anschluss an Fritz Blakolmers Vorlesung zum mykenischen Griechenland die dazu passende Sonderausstellung im Badischen Landesmuseum zu besuchen: „Mykene. Die sagenhafte Welt des Agamemnon“, so der Titel. Der Kurator der Ausstellung, Dr. Bernhard Steinmann, unter anderem Spezialist für frühägäische Kriegergräber, bot sich im Vorfeld freundlicher Weise an, die Gruppe vom Institut der Universität Wien unentgeltlich durch die Ausstellung zu führen und in dieser zweistündigen Kuratorenführung nicht nur die Kultur des mykenischen Griechenlands näher zu bringen, sondern auch Einblicke in und Erfahrungen mit Konzeption und Gestaltung dieser Ausstellung zu vermitteln.

Abb. 1: Das (nach-mykenische) Schloß Karlsruhe beherbergt das Badische Landesmuseum (Photo F. Blakolmer)

Ohne Heinrich Schliemann geht gar nichts

Begrüßt werden die BesucherInnen durch den Abguss des Steinreliefblocks des Löwentors von Mykene. Sobald man den hellen Eingangsbereich betritt, steht man dem imposanten, über drei Meter hohen Monumentalrelief gegenüber – wir kamen gar nicht umhin, uns wie die KollegInnen von Heinrich Schliemann zu fühlen, die im 19. Jahrhundert die Argolis bereisten und denen dieser Raum gewidmet ist. Als wir den Bereich der Forschungsgeschichte verließen, fanden wir uns im zwar düsteren, aber durch glänzende Goldmasken aufgehellten Zeitalter der mykenischen Schachtgräber wieder. Die schwarzen Wände und die spärliche Beleuchtung unterstrichen deutlich den mysteriösen Aspekt der noch schriftlosen Kultur der Schachtgräberzeit. Ein weiterer dramatisch düster gehaltener Raum imitiert Fassade und Inneres eines mykenischen Kuppelgrabes mit reichen Grabfunden aus Kakovatos und anderen frühmykenischen Fundstätten der Peloponnes.

Im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe erwarteten uns nicht nur einzelne Objekte aus der Schachtgräberzeit und der mykenischen Palastzeit, denn die außergewöhnliche Raumgestaltung macht diese Ausstellung zu mehr als nur der Summe ihrer Exponate. Durch Farbgebung, Beleuchtung und Raumaufteilung haben die Kuratoren geschickt die Atmosphäre der jeweils behandelten Entwicklungsperiode eingefangen. Angenehm ausgewogen ist das Verhältnis zwischen Exponaten und Elementen der musealen Inszenierung. Die Exponate der Ausstellung stammen größtenteils aus unterschiedlichen Museen Griechenlands (Athen, Nafplion, Chora, Theben, Irakleio, Chania etc.) und sind erstmals hier in Karlsruhe vereint. Allein dies macht die Ausstellung schon einzigartig!

Abb. 2: Ein Siegelstein aus dem 2016 freigelegten Schachtgrab des ‚Griffin Warrior’ in Pylos (nach Mykene. Die sagenhafte Welt des Agamemnon, Ausstellungskatalog (Karlsruhe – Darmstadt 2018) S. 87)

Etwas unheimlich Kleines aus Pylos

Gezeigt werden erstaunlich viele Neufunde und ‚Starfunde’, die teils erstmals außerhalb Griechenlands oder überhaupt zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dazu zählen vier Goldringe mit spektakulärer Ikonographie, eine goldene Halskette und vor allem ein Steinsiegel aus dem erst 2016 freigelegten Schachtgrab des ‚Griffin Warrior’ in Pylos. Dank der exklusiven Führung durch Bernhard Steinmann wurden uns auch Informationen über die Exponate zuteil, die sich dem regulären Besucher entziehen. So berichtete er uns beispielsweise, dass die Goldkette aus Pylos noch nicht gereinigt worden war. Die amerikanischen Ausgräber bestanden darauf, sie in ihrem ursprünglichen Fundzustand zu belassen, da sie sich erhofften, an ihr noch Spuren von menschlichem Gewebe des Trägers finden zu können.

Das hier erstmals öffentlich präsentierte ‚Combat Agate’-Siegel aus Pylos kann aus einer Reihe von Gründen als der bislang qualitätsvollste Siegelstein der gesamten ägäischen Bronzezeit gelten: Dieses Achat-Siegel minoischer Urheberschaft präsentiert in unvergleichlicher Detailliertheit eine Kampfszene mit drei Kriegern. Man beachte etwa die Wiedergabe der Ornamentmotive auf den Gewändern und dem Helm sowie die Angabe von Muskulatur, Rippen und der einzelnen Fingerglieder des Gefallenen auf diesem Hartsteinsiegel mit einer Länge von nicht mehr als 3,6 cm! Und Überraschung: Anders als in den bisherigen Publikationen weist das spektakuläre ‚Combat Agate’-Siegel keineswegs bloß ‚Shades of Brown’ auf, sondern präsentiert sich weiß mit oranger Äderung; das Siegelbild selbst ist in all seinen Details aber ohnedies nur als Abdruck oder in Umzeichnung klar zu erkennen.

Als wir die Grenze von der Schachtgräberzeit zur mykenischen Palastzeit überschritten, fanden wir uns in einem hellen Raum mit weißen Wänden und Säulen wieder. Wir befanden uns nun im Zeitalter der Schriftlichkeit und der internationalen Vernetzung, und dies war mit allen Sinnen deutlich zu spüren! Zentrale Exponate dieses Raums sind Tontafeln mit griechischen Texten in Linear B-Schrift – erfreulicherweise auch in Übersetzung. Diese zeugen vom regen Waren- und auch Personenaustausch, der die Blütezeit der spätmykenischen Ägäis prägte.

Abb. 3: Animation eines mykenischen Thronraumes in der Ausstellung (Photo: Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Peter Gaul; mit Dank an Bernhard Steinmann für die Zusendung)

Bitte auf den mykenischen Thron setzen!

Das gestalterische Highlight der Ausstellung bildet ohne Zweifel der danach folgende Raum, der in einen mykenischen Thronsaal – maßstabsgetreu! – verwandelt wurde, mit dem knisternden Feuer des zentralen Herdes zwischen vier Säulen, einem Podest mit Thron (mit der Aufforderung an die BesucherInnen sich draufzusetzen!) und einer Imitation des Freskenprogrammes an Wänden, Fußboden und Raumdecke – ein Potpourri aus bekannten Malereien aus Mykene, Tiryns und Pylos. Bei dieser ‚Mycenae Experience’ kam dem Kurator Herrn Steinmann ohne jeden Zweifel sein Faible für Modellgestaltung sehr entgegen. Durch eine Öffnung direkt über dem Herdfeuer konnten wir sogar den griechisch-mediterranen Himmel mit Schäfchenwolken betrachten – als Projektion, versteht sich. Die flächendeckende Kombination schriller, kräftiger Farben, die heute wohl in keinem Wohnzimmer mehr zu finden wären, evoziert eine warme und gemütliche Atmosphäre, die zum Bleiben einlädt – und zum Entspannen auf dem Holzthron. Besonders interessant fanden wir die dort ausgestellten verbrannten Überreste des bemalten Stuckfußbodens aus Tiryns, auf denen noch deutlich Farbgebung und Motive erkennbar sind. Diese Fragmente, die außerhalb der Ausstellung der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, bildeten die Vorlage für die rekonstruierte Bodenbemalung.

Abb. 4: Reise nach Karlsruhe per Bahn, nicht per Fahrrad! Das blaue Transparent der Ausstellung ist allgegenwärtig (Photo F. Blakolmer)

Auch die Zerstörung der Paläste und das darauffolgende sog. Dunkle Zeitalter wurden im letzten Raum sowohl mit Exponaten als auch durch eine abermals düstere Raumgestaltung vermittelt. Eine große, schwarz-rote ‚Kyklopenmauer’ visualisiert das gewaltsame, ‚feurige’ Ende der Palastzeit, auch wenn einige Exponate auf Kontinuität – besonders im Grabkult – hinweisen. Und museologisch zweifellos zukunftsweisend schließlich die echt mykenischen Geschlechter-Symbole an den Toilettentüren im ‚blauen Saal’. Die einzigartige Gestaltung der Ausstellung erweckt für BesucherInnen, Laien wie Archäologen gleichermaßen, die sagenhafte ‚Zeit des Agamemnon’ zum Leben. Aber Achtung: Daß Homer als nach-mykenische Quelle keinerlei tragende Rolle spielt, spricht für die wissenschaftliche Seriosität der Ausstellung; seine Rolle als „Posterboy Mykenes“ nehmen hier Forscher wie Carl Blegen, Michael Ventris und natürlich Heinrich Schliemann ein. Und von ganz besonderem Interesse war dann noch … Nein, mehr wird hier nicht verraten! Fahren Sie zu den Mykenern nach Karlsruhe! Die Ausstellung läuft noch bis 2. Juni 2019.

Fritz Blakolmer, Veronika Kolomaznik, Aelfric Mayer

Abb. 5: Der Katalog zur Mykene-Ausstellung (Photo K. Klein und V. Böck)

Website der Ausstellung: http://www.landesmuseum.de/website/

Literatur:

  • Mykene. Die sagenhafte Welt des Agamemnon. Katalog zur Sonderausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, 1. Dezember 2018 – 2. Juni 2019 (Karlsruhe – Darmstadt 2018).
  • J. L. Davis – Sh. R. Stocker, The Lord of the gold rings. The Griffin Warrior of Pylos, Hesperia 85, 2016, 627–655.
  • Sh. R. Stocker – J. L. Davis, The Combat Agate from the grave of the Griffin Warrior at Pylos, Hesperia 86, 2017, 583–605.
  • B. F. Steinmann, Die Waffengräber der ägäischen Bronzezeit: Waffenbeigaben, soziale Selbstdarstellung und Adelsethos in der minoisch-mykenischen Kultur (Wiesbaden 2012).